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Presseartikel
Deutsches Allgemeines
Sonntagsblatt, 4. Dezember 1998
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31. Dezember 2005
Was
Religion mit Wirtschaft verbindet
In einer sozialen
Marktwirtschaft sollten Ökonomie und Ethik zusammenarbeiten, meint Daniel
Dietzfelbinger
VON SUSANNE LIEDTKE,
Deutsches Allgemeines
Für Daniel Dietzfelbinger steckt
der Teufel manchmal im Detail. "Die Haltung unserer Gesellschaft zur
Sozialen Marktwirtschaft können Sie daran erkennen, dass sie das Wörtchen
sozial immer klein schreibt", merkt er schmunzelnd an. In seiner
Doktorarbeit "Soziale Marktwirtschaft als Lebensstil - Alfred
Müller-Armacks Lebenswerk" hat der Theologe das entscheidende Wort ganz in
der Tradition Müller-Armacks dagegen stets groß geschrieben.
Dietzfelbingers Interesse für
wirtschaftliche Zusammenhänge wurde früh geweckt: Er schrieb bereits seine
Abiturarbeit über Karl Marx. Zwar wandte der Enkel des verstorbenen bayerischen
Bischofs Hermann Dietzfelbinger sich im Studium zunächst der evangelischen
Theologie zu, aber in seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich dann wieder mit
der Wirtschaft. Mit dieser Dissertation erschrieb sich Dietzfelbinger beim
diesjährigen DS-Ethik-Preis den zweiten Platz.
Der 30-Jährige mischt sich mit
seiner Arbeit in die Debatte um die Zukunftsfähigkeit der sozialen
Marktwirtschaft im Zeitalter der Globalisierung ein und greift dabei auf die
Thesen des protestantischen Vaters der sozialen Marktwirtschaft, Müller-Armack,
der einst mit Ludwig Erhard zusammenarbeitete, zurück. Bevor er sich
wissenschaftlich mit dem Thema auseinander setzte, sammelte der 30-jährige
Doktor der Theologie zunächst Erfahrungen als Praktikant in einem Münchner
Unternehmen sowie der Deutschen Agentur für Luft- und Raumfahrtangelegenheiten und
der Europäischen Raumfahrtagentur.
"Das Thema Wirtschaftsethik
ist ein von der Theologie viel zu wenig beackertes Feld", sagt
Dietzfelbinger und hofft, dass er mit seiner Dissertation dazu beiträgt, diese
Lücke zu schließen.
Dabei hält er es nicht für
sinnvoll, rein moralisch zu argumentieren, wie es die Kirche oft tue. Vielmehr
gehe es darum, die unterschiedlichen Komponenten, die den Stil einer
Gesellschaft ausmachten, zusammenzuführen, meint Dietzfelbinger. Nur so könne
man den Dialog zwischen Ökonomie und Ethik zeitgemäß führen. Da sei auf der
einen Seite die Wirtschaft mit ihrem Grundsatz, mit möglichst wenig Aufwand
möglichst hohen Gewinn zu erzielen. Dem gegenüber stehe das ethische Prinzip,
den Nutzen anderer zu maximieren, ohne darauf zu achten, was man an Mitteln
dafür aufwenden muss. Dieser Dualismus sollte in der Wirtschaftsethik nun nicht
einfach dadurch überwunden werden, dass man dem einen Prinzip das andere
überstülpt, meint der Theologe, vielmehr brauche man ein neues Paradigma, das
beide Ansätze zu einem zukunftsfähigen Wirtschaftsstil verbinde.
Dietzfelbinger findet ein solches
Paradigma in den Schriften Alfred Müller-Armacks. Der Wirtschafts- und
Religionssoziologe entwickelte in den vierziger Jahren den Stilbegriff, durch
den er verschiedene Rationalitäten miteinander zu vereinbaren suchte.
Müller-Armack stelle dar, "wie das Interesse des Liberalismus, nämlich die
Freiheit des Menschen, das Interesse des Sozialismus, nämlich die soziale
Gerechtigkeit und das Gemeinwohl, das Interesse des Katholizismus, nämlich die
Welt als ein Ordnungsgefüge zu sehen, sowie das Interesse des Protestantismus,
nämlich dem Menschen eine konkrete Berufsaufgabe zu geben und deren Erfüllung
zum Lebensthema zu erheben, in sein sozioökonomisches Modell integriert werden
kann", schreibt Dietzfelbinger in seiner Arbeit.
Die soziale Marktwirtschaft, wie
Müller-Armack sie entwarf, ist für den evangelischen Theologen auch das Konzept
der Wahl für die Probleme der Gegenwart. Allerdings müsse man sie richtig
umsetzen, betont Dietzfelbinger: "Mit verkrusteten Strukturen, zum
Beispiel im Bereich der Tarifverträge, kommt man nicht weiter."
Lohnnebenkosten zu senken und eine Ökosteuer einzuführen sei dabei
grundsätzlich der richtige Weg, meint der 30-Jährige. Aber das Konzept der
neuen rotgrünen Bundesregierung sei noch nicht ausgereift. "Man muss nicht
nur den Energieverbrauch, sondern auch Emissionen besteuern", lautet eine
seiner Forderungen.
Schon Müller- Armack vertrat die
These, dass sich Religion und Wirtschaftsform niemals unabhängig voneinander
entwickeln. Deshalb kommt auch nach Ansicht Dietzfelbingers der Kirche bei der
Debatte um Arbeits- und Sozialpolitik eine ganz zentrale Rolle zu:
"Wettbewerb ist nur für diejenigen gerecht, die daran teilnehmen können.
Die Kirche sollte Anwältin all jener Menschen sein, die nicht daran teilnehmen
können", sagt er.
Er hat die Erfahrung gemacht,
dass in der Wirtschaft grundsätzlich eine Bereitschaft zu ethischem Handeln
besteht. Um den Dialog zu verstärken, sollten junge Theologen und angehende
Pastoren mehr Praktika in fachfremden Bereichen absolvieren, schlägt der
gebürtige Nürnberger vor. Die Möglichkeit zu einem Wirtschaftsvikariat, wie sie
in Bayern besteht, findet er deswegen richtungweisend.
Dietzfelbinger selbst hat kein
Vikariat gemacht, sondern sich nach seiner Promotion für eine Stelle in der
Wirtschaft entschieden. Er organisiert Tagungen und gibt Ethik-Seminare für
junge Führungskräfte. Nebenbei engagiert er sich im Deutschen Netzwerk
Wirtschaftsethik, einem Zusammenschluss von Studenten, Professoren und
Praktikern aus Unternehmen. Ab und zu wird er von befreundeten Pastoren
eingeladen, in Gottesdiensten zu predigen. Das hält er für besonders wichtig,
"weil ich so die grundsätzliche Bedeutung der Wirtschaft bis in die
Gemeinden hinein deutlich machen kann".
Auch die Kirche selbst sollte
sich an ökonomischen Kriterien orientieren, fordert Dietzfelbinger. Gerade in
der Personal- und Investitionspolitik sei wirtschaftliches Denken und ein
straffes Management erforderlich. "Bei der Seelsorge hört das allerdings
auf", schränkt der Theologe ein, diese dürfe man nicht als bloße
marktwirtschaftlich ausgerichtete Dienstleistung ansehen.
©DS - DEUTSCHES
ALLGEMEINES SONNTAGSBLATT,
4. Dezember 1998 Nr. 49/1998
Effizienz kontra Moral?
Als Wirtschaftsethiker wirbt der
Theologe Dr. Daniel Dietzfelbinger für moralische Werte in der Wirtschaft
Als Theologiestudent wollte er Pfarrer werden und
die Menschen und die Welt verbessern. Heute, drei Jahre nach seiner Promotion
zum Doktor der Theologie, verfolgt Daniel Dietzfelbinger im Prinzip das gleiche
Ziel, allerdings nicht in der Kirche, sondern als Mitarbeiter eines großen
Wirtschaftsunternehmens, der Münchner MAN Gruppe. Hier arbeitet der 32-Jährige
unter anderem als Wirtschaftsethiker. „Für einen Theologen, der sich für
Ökonomie interessiert, liegt es nahe, sich mit Wirtschaftsethik zu befassen“,
erklärt er seinen Werdegang.
Das Interesse für Wirtschaft keimte schon während
seiner Nürnberger Schulzeit auf, denn im Abitur befasste er sich mit Marx. Sein
Theologiestudium in München begann er eher skeptisch, entschied sich aber,
dabei zu bleiben, weil ihn der Mensch und sein Glaube reizten. "Ich würde
wieder Theologie studieren", ist er heute überzeugt, "weil es ein
sehr freies und vielschichtiges Studium ist.“
Während seiner Studienzeit lernte er intensiv die
Wirtschaft als Kontrastprogramm zum Studierstübchen kennen: Er machte ein
Praktikum bei BMW und arbeitete am Band. Diese Wirklichkeit kennen zu lernen,
hat ihn beeindruckt und vielleicht seinen weiteren Berufsweg mitgeprägt. Denn
die ethischen Fragen der Theologie ließen ihn während seiner gesamten
Studienzeit nicht mehr los. "Ethik ist der Punkt, an dem man sich nicht
mehr hinter hehren Theoriegebäuden verstecken kann, sondern an dem sich Werte,
so sie denn vorhanden sind, in der Praxis zu bewähren haben", erklärt er
sein Interesse.
Folgerichtig wählte er ein wirtschaftsethisches
Thema für seine Dissertation: Die Konzeption der sozialen Marktwirtschaft in
Deutschland und ihre ethische Wertung. Er absolvierte weitere Praktika, so auch
bei MAN und der European Space Agency (ESA) in Paris. Aus dem MAN-Praktikum
ergab sich ein Teilzeitjob, mit dessen Hilfe Daniel Dietzfelbinger die
Promotionszeit finanzierte.
Für Wirtschaftsethiker gibt es keine geregelte
Ausbildung, die auf diesen Beruf vorbereitet. Als Theologe sind für Daniel
Dietzfelbinger sein ausgeprägtes Interesse an wirtschaftlichen Abläufen und
sein selbstständig gewonnenes Wissen darüber unabdingbare Voraussetzungen für
die Tätigkeit. "Ich halte nichts davon, als Geisteswissenschaftler mit
erhobenem moralischen Zeigefinger auf die Wirtschaft zuzugehen", ist sein
Standpunkt. "Wer etwas verbessern will, muss sich Einblick in Materie
verschaffen und sie verstehen lernen. Klagen über die schlechte Welt helfen
nicht. Es geht darum, die Praxis zu verbessern." Dabei ist ihm natürlich
klar, dass er ausgebildeten Betriebswirtschaftlern nicht das Wasser reichen
kann. "Dieser andere Blickwinkel", so der Theologe, "kann aber
auch von Vorteil sein."
Und sein Blickwinkel ist in der Tat ein besonderer,
da er sich als Wirtschaftsethiker in einem auf Wettbewerb ausgerichteten
Großunternehmen für Wertvorstellungen, für Werte- und Normfragen im Bereich der
Ökonomie und deren praktische Umsetzung interessiert. Ist das nicht ein
unlösbarer Widerspruch? Eine Frage, die er als Wirtschaftsethiker oft hört und
mit der er sich nicht nur im Unternehmen, sondern auch in Vorträgen und
Veröffentlichungen beschäftigt.
Denn er ist .überzeugt, dass bei aller notwendigen
Kritik moralische Werte in der Wirtschaft vorhanden sind und weiter gefördert
werden können. Eine Einteilung in gut und böse ist ihm zu einfach, ebenso lehnt
er schnelle moralische Verurteilungen ab. Es sei, so seine Überzeugung, nicht
unmoralisch, Gewinn anzustreben und zu erzielen, wenn die Art und Weise nicht
unmoralisch ist. "Die Frage muss doch konkret heißen: Sind die Methoden,
mit denen ein Unternehmen Geld verdient, ethisch legitimierbar?" So
versteht er die Aufregung um den Shareholder Value nicht, wenn dieser richtig
verstanden wird: Nur ein nachhaltig und langfristig erfolgreiches Unternehmen
kann Arbeitsplätze sichern. Und schließlich beinhalte der soziale Aspekt der
modernen Marktwirtschaft mit vielen freiwilligen Leistungen der Unternehmen
einen Beitrag, der häufig von der Gesellschaft übersehen wird. "In der
Gesellschaft findet ein Umdenken statt: Werte wie soziales oder ökologisches
Engagement und Investitionen in das Wissen von Mitarbeitern stehen mehr und
mehr im Mittelpunkt des Interesses, auch von Investoren."
In der MAN Gruppe gehört Daniel Dietzfelbinger zur Stabsabteilung Technik, die direkt dem Vorstandsvorsitzenden untersteht. Seine Aufgaben sind sehr vielseitig. "Zum einen betreue ich den innerbetrieblichen Erfahrungsaustausch. Das heißt, ich organisiere Workshops zu Themen, wie berufliche Erstausbildung oder Vorschlagswesen", erläutert er. "Ich schule den Führungsnachwuchs im Thema 'Verantwortliches Management'. Daneben beschäftige ich mich mit gesellschaftspolitischen Themen, die für das Unternehmen und seine Politik von Bedeutung sind beziehungsweise sein könnten. Solche Themen sind zum Beispiel Nachhaltigkeit und Globalisierung. Dabei ist dann natürlich immer die praktische Umsetzung gefragt. Und natürlich fallen immer wieder typische Stabsarbeiten für den Vorstand wie Vorträge und andere Ausarbeitungen an.
Das strategische Denken, wie es für seine
Arbeit verlangt wird, liegt Daniel Dietzfelbinger sehr. Auch die Möglichkeit,
zwischen Menschen zu vermitteln und mit vielen Menschen zu kommunizieren, macht
ihm Spaß. "Ich fühle mich dort, wo ich jetzt bin, sehr wohl."
Hauptberuflich
Vater eines Sohnes
VON HENDRIK
STEINKUHL, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31. Dezember 2005
Als seine Frau schwanger wurde, stand für Daniel Dietzfelbinger eines sofort fest: „Ich habe viele ältere Männer sagen hören, sie hätten sich zuwenig um ihre Kinder gekümmert. Diesen Fehler wollte ich nicht machen.” Bis vor einigen Monaten war der Siebenunddreißigjährige Leiter der internen Unternehmenskommunikation bei MAN in München. Nun ist er für die nächsten zwei Jahre hauptberuflich Vater eines Sohnes, während die Frau des promovierten Theologen ganztags arbeitet.
Rund 20 Jahre nach Einführung der Elternzeit in Deutschland ist Daniel Dietzfelbinger in seiner neuen Rolle noch immer ein Exot. Laut einer Familienanalyse des Allensbach-Instituts denken zwar 69 Prozent der jungen Väter, sie müßten sich genauso um die Kindererziehung kümmern wie die Mutter; doch nur in rund fünf Prozent der Haushalte, in denen der Erziehungsurlaub genutzt wird, tun dies auch beide Elternteile. Daß - wie bei Familie Dietzfelbinger - der Vater zu Hause bleibt, während die Mutter arbeiten geht, kommt hingegen in gerade einmal 0,2 Prozent der Haushalte vor.
Dieses Ergebnis veröffentlichte das Familienministerium 2004, nachdem es 2001 die Elternzeit deutlich ausgeweitet hatte. Seitdem können Mutter und Vater auch gleichzeitig Erziehungsurlaub nehmen und jeweils bis zu 30 Wochenstunden arbeiten. Während in Schweden, dem ewigen Primus in Gleichberechtigungsfragen, 36 Prozent der Väter in Elternzeit gehen, sind es in Deutschland kaum eine Handvoll. Und das, obwohl den jungen Vätern die Familie viel wichtiger ist als noch vor Jahren. Um diesen scheinbaren Widerspruch aufzuklären, hat das Allensbach-Institut im Auftrag des damaligen SPD-Familienministeriums junge Männer gefragt, warum ihrer Meinung nach so wenige Väter Elternzeit nehmen.
Am häufigsten genannt, nämlich von 82 Prozent aller Befragten (und 89 Prozent der Väter), wurde der deutlich höhere Einkommensverlust, wenn der Vater und nicht die Mutter in Erziehungsurlaub geht. Die Beobachtung deckt sich mit der Wirklichkeit: Tatsächlich verdienen Frauen in Deutschland noch immer weniger als Männer. 3.771 Euro betrug zum Beispiel der Bruttomonatslohn männlicher Angestellter in Handel, Kredit-, produzierendem und Versicherungsgewerbe im Jahr 2004 (Statistisches Bundesamt). Ihre Kolleginnen verdienten im Schnitt rund 1.100 Euro weniger.
Um gerade den Vätern den Erziehungsurlaub attraktiver zu machen, setzt Familienministerin Ursula von der Leyen die Pläne ihrer Vorgängerin Renate Schmidt in die Tat um: Ab 2007 soll es das sogenannte Elterngeld geben; für ein Jahr ersetzt es 67 Prozent des Nettoeinkommens desjenigen Elternteils, der zu Hause bleibt und sich um das Kind kümmert. Trotz heftiger Kritik will von der Leyen das Elterngeld nur dann über die vollen zwölf Monate auszahlen, wenn der eigentlich berufstätige Partner (in den meisten Fällen also der Vater) mindestens zwei Monate zu Hause bleibt. Ob auch Männer in Spitzenpositionen dank dieser Novelle für längere Zeit Windeln wechseln, ist allerdings fraglich - denn die maximale monatliche Unterstützung soll 1.800 Euro betragen.
Für Daniel Dietzfelbinger und seine Frau stand bei der Entscheidung, wer Erziehungsurlaub nimmt, das Geld nicht an erster Stelle. Zwar arbeitete Dietzfelbinger in einer gutbezahlten Führungsposition, und einige Freunde fragten ihn erstaunt, warum er diese aufgebe. „Als meine Frau aber vor kurzem eine tolle berufliche Herausforderung angeboten bekam, waren wir uns beide sofort einig, daß sie diese annimmt und ich Erziehungsurlaub beantrage.”
In der Allensbach-Umfrage folgen auf die unmittelbaren finanziellen Einbußen die mittelbaren: Väter, so sagen 74 Prozent aller Befragten, befürchten berufliche Nachteile, wenn sie Erziehungsurlaub nehmen. Sie wollten im Beruf vorankommen und könnten sich deshalb keine Elternzeit leisten. Daniel Dietzfelbinger kennt diese Meinung zur Genüge: „Man braucht schon ein gutes Selbstbewußtsein, weil ständig Leute daran zweifeln, daß man nach der Elternzeit einen vergleichbaren Job wiederbekommt.” Rein rechtlich allerdings hat Dietzfelbinger genau darauf einen Anspruch.
Offenbar wiegen die finanziellen Gründe bei der Entscheidung der Väter, keine Elternzeit zu nehmen, deutlich schwerer als etwa Tradition oder gesellschaftliche Reputation. Daß Männer auf den Erziehungsurlaub verzichten, weil sie es gewohnt sind, daß die Frau die Kinder erzieht, glaubt nur noch jeder zweite Befragte der Untersuchung. Die Furcht vor dem Verlust sozialen Ansehens liegt sogar auf dem letzten Platz unter den genannten Gründen. Die Schuld gibt man vielmehr den starren Beschäftigungsverhältnissen in der Wirtschaft: 81 Prozent der Befragten erwarten von den Unternehmen, daß sie flexiblere Arbeitszeiten anbieten und - bei entsprechender Größe - eine eigene Kinderbetreuung einrichten.
„Gerade Männer in Spitzenpositionen gehen in vielen Betrieben sicher das Risiko eines beruflichen Abstiegs ein, wenn sie Elternzeit beantragen”, sagt die Psychologin Britta Reiche. „Doch nur dort, wo viele Männer Elternzeit beantragen, kann sich das Klima ändern.” Die Hamburger Ärztin hat für ihre Dissertation Männer nach ihren Erfahrungen mit der Elternzeit befragt. Eines ihrer Ergebnisse: Gerade bei älteren Chefs hatten es die jungen Väter schwer, Verständnis für ihr Vorhaben zu gewinnen, Erziehungsurlaub zu nehmen. Einige der Befragten berichteten auch davon, daß ihre Vorgesetzten die weitere Karriere oder eine Beförderung in Frage stellten. Doch nicht nur das Umfeld oder der Vorgesetzte machen es manchem Vater schwer, seinen Wunsch nach Elternzeit durchzusetzen - häufig verhindert es auch die Mutter des Kindes. „Viele Frauen wollen ihre tradierte Rolle gar nicht abgeben, selbst wenn es finanziell ginge”, sagt Britta Reiche.
Anscheinend sehen viele Mütter den Mann aber auch dann nicht gerne in „ihrer” Rolle, wenn es sich dabei um den Vater eines anderen Kindes handelt. „Die Situation auf dem Spielplatz haben mir viele Männer beschrieben. Oft waren die Reaktionen der Frauen nicht sehr angenehm”, sagt Britta Reiche. In ihrer Doktorarbeit berichtet ein Mann, er sei von Müttern „angeschnauzt” worden, nachdem er sich in einen Streit zwischen den Kindern eingemischt hatte: „Ich habe das Gefühl gehabt, ich breche in ein Revier ein, wo Männer nicht hingehören.”
Ähnlich empfand es auch Christian Schirmer, vor seinem Erziehungsurlaub Leiter der Jugendorganisation des BUND. Der Vater von Zwillingen gründete einen Treff für Väter und Kinder aus ganz Köln, da ihn die Krabbelgruppe in seiner Kirchengemeinde ein wenig verstört hatte: „Ich kam mit den Frauen überhaupt nicht ins Gespräch. Sie haben die ganze Zeit nur über das Abstillen und Milchabflußprobleme geredet. Für sie waren das sicher existentielle Probleme - für mich war es aber äußerst unbefriedigend.” Zum Reden kam Schirmer aber auch in der „Väter-Krabbelgruppe” kaum: „Immer, wenn man gerade ein Gespräch angefangen hat, fing eines der Kinder an zu weinen oder es war etwas anderes passiert.” Auf Schirmers Initiative hin trafen sich die jungen Väter dann noch an einem anderen Tag in der Woche - und zwar in der Kneipe, ohne die Kinder.
Schirmer hat seine Elternzeit inzwischen beendet und arbeitet wegen des Umzugs des BUND nach Berlin nun bei der Schlichtungsstelle Nahverkehr Nordrhein-Westfalen. Trotz der vielen Anstrengungen will er die 21 Monate „Vollzeit” mit seinen Zwillingen nicht missen: „Es war eine wunderschöne Zeit, durch die ich meinen Kindern ungeheuer nahegekommen bin.” Seine Erfahrung entspricht dem Tenor der Studie von Britta Reiche: „Die Männer, die Erziehungsurlaub genommen haben, erlebten die Zeit durchweg als positiv.”
© Frankfurter
Allgemeine Zeitung,
31. Dezember 2005
Von CLAUS G. SCHMALHOLZ, manager-magazin, Juni 2006
Immanuel will nicht schlafen. Munter glucksend blickt der 15 Monate alte Sohn von Daniel Dietzfelbinger (38) zu seinem Papa hoch und kaut dabei glücklich auf einer halben Brezel. "Am besten gehen wir ein Stück durch den Park, dann schläft er bestimmt bald ein", meint der ehemalige MAN-Manager.
München, morgens um halb elf, eine Führungskraft in einer ungewohnten Rolle. Der Mann am Kinderwagen, Doktor der Evangelischen Theologie und bis September 2005 Leiter der internen Kommunikation bei MAN, ist einer der wenigen Väter, die sich komplett aus dem Unternehmen verabschiedeten, um Zeit für ihre Kinder zu haben. Geht es nach dem Willen von Familienministerin Ursula von der Leyen, sind Führungskräfte wie Dietzfelbinger nur die Vorreiter.
Mit der Einführung des Elterngeldes sollen ab 2007 vor allem Akademiker dazu bewegt werden, für mehr Nachwuchs in Deutschland zu sorgen. Als Anreiz sollen nach der Geburt 67 Prozent des bisherigen Nettogehalts, maximal 1800 Euro monatlich, aus der Staatskasse fließen, und zwar bis zu 14 Monate - vorausgesetzt, der Vater nimmt sich mindestens zwei Monate lang für das Baby frei. Reicht das aus, um männliche Führungskräfte stärker in die Familienpflicht zu nehmen? Und wie werden die Unternehmen damit zurechtkommen?
manager magazin befragte die Personalverantwortlichen der hundert größten börsennotierten deutschen Firmen zu den Auswirkungen des geplanten Gesetzes und wollte mehr über ihre grundsätzliche Einstellung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf erfahren.
Die Resonanz war groß, 36 Prozent der befragten Unternehmen antworteten. Die Ergebnisse lassen erwarten, dass die Initiative der Familienministerin bei jungen Führungskräften und deren Arbeitgebern verpuffen wird.
Mehr als die Hälfte der Personalverantwortlichen glaubt nicht, dass männliche Führungskräfte allein aufgrund des Elterngeldgesetzes verstärkt die Möglichkeit einer Auszeit in Anspruch nehmen werden. Fast jeder zweite Personalchef ist der Meinung, dass finanzielle Anreize und die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit aus Unternehmenssicht ungeeignete Maßnahmen sind, um den Führungskräften eine Babypause zu ermöglichen. Anders gesagt: Geld spielt aus Sicht der Firmen offenbar kaum eine Rolle bei der Entscheidung für die Elternzeit.
Tatsächlich sind bei Führungskräften wie Daniel Dietzfelbinger meist ganz andere Gründe ausschlaggebend, sich intensiv um ihre Kinder zu kümmern: "Als die Bewerbung meiner Frau um eine volle Stelle als Pfarrerin erfolgreich war, entschieden wir uns dafür, ihrer Karriere den Vorrang zu geben."
Das neue Leben als Vollzeitvater wirkt positiv: "Ich bin jetzt deutlich entspannter als früher", erzählt Dietzfelbinger. Vieles ist aber auch ganz anders, als er es sich ausgemalt hatte: "Mit einem Schlag brach mein komplettes bisheriges Kontaktgefüge zusammen, das war schon eine extreme Erfahrung."
Dietzfelbinger pausiert zwei Jahre - und weiß auch, dass diese Auszeit seine Karriere bei MAN durchaus gefährden kann. Seine Stelle wurde mit seinem Einverständnis neu besetzt, die Rückkehr auf die alte Position ist also ausgeschlossen.
Der Gedanke, die Zeit als Hausmann könne sich karriereschädlich auswirken, treibt auch Peter Schirmanski (38) um, der sich seit Januar um seinen neun Monate alten Sohn Victor kümmert. "Ich denke schon darüber nach, dass ich in dieser Zeit keine Punkte für den weiteren Aufstieg sammeln kann", sagt der IBM-Unternehmensberater, "und habe mich deshalb bewusst dafür entschieden, während meiner neun Monate in Elternzeit meine Führungsaufgabe weiter wahrzunehmen."
Eine Vorsichtsmaßnahme, die keineswegs unbegründet ist, wie die mm-Umfrage zeigt. Zwar führt die Elternzeit nicht automatisch zum Karriereknick, doch die geradlinige Fortsetzung der bisherigen Laufbahn ist in der Regel nicht möglich.
In den Unternehmen, die sich an der mm-Umfrage beteiligten, kehrte nur knapp ein Drittel der Manager nach dem Erziehungsurlaub wieder in die gleiche Position zurück.
Die Mehrheit (44 Prozent) der befragten Personalverantwortlichen ist der Ansicht, dass ein Manager maximal drei Monate wegen des Babys zu Hause bleiben sollte, 8 Prozent meinen, ihre Führungskräfte müssten nach einem Jahr wieder in den Job zurückkehren.
Väter wie Peter Schirmanski müssen die Dauer der Elternzeit mit Rücksicht auf die Firma festlegen und gleichzeitig die Bedürfnisse ihrer Frauen beachten. Der IT-Berater lebt in einer Partnerschaft, die wohl typisch ist für viele Akademikerpaare.
Linda Schirmanski hat als Prokuristin in der Allianz-Zentrale in München einen ebenso gut bezahlten Führungsjob wie ihr Mann und ähnlich wie er beste Karriereaussichten. "Als klar war, dass wir ein Kind bekommen würden, überlegten wir uns, bei wem die Kinderbetreuung besser in die aktuelle Jobphase passt", sagt Schirmanski. So fiel die Entscheidung auf ihn, weil seine Frau just am Beginn der Schwangerschaft als sogenannte Potenzialträgerin in ein strategisches Projekt berufen worden war.
Schirmanskis persönliches Arbeitszeitmodell sieht nun so aus, dass er einen Tag pro Woche arbeitet, von zu Hause, für seine Mitarbeiter aber stets per Handy erreichbar ist. Seine Mails prüft er ohnehin täglich.
Der abrupte Wechsel zu Kind und Haushalt verschaffte dem auch schon vorher viel beschäftigten Berater ungeahnte Einsichten, die sich auch auf den Job auswirken:
"Ich habe nun deutlich mehr Respekt vor der Aufgabe, ein Kind zu betreuen. Es bleibt einem tatsächlich keine Zeit mehr für sich selbst."
Diese Erfahrungen teilt Schirmanski mit sehr wenigen Managerkollegen. Nur bei rund 2 Prozent der Unternehmen nahmen Führungskräfte überhaupt Erziehungsurlaub in Anspruch, ergab die mm-Umfrage. Das ist keine Überraschung angesichts der Tatsache, dass es in den Topetagen keinerlei Vorbilder gibt: Bei 92 Prozent der Unternehmen hat sich kein Geschäftsführer oder Vorstand jemals in die Elternzeit verabschiedet.
Wer oben angekommen ist, kann es finanziell wohl auch eher verkraften, seine Kinder von bezahlten Fachkräften betreuen zu lassen. "Seit unser erstes Kind ein Jahr alt ist, leisten wir uns den Luxus einer fest angestellten Kinderfrau, die bei uns im Haus wohnt. So konnte meine Frau nach ihrem Universitätsstudium berufstätig bleiben", sagt etwa Johannes Schmidt, Vorstand bei der Indus Holding und Vater von drei Kindern.
Junge Manager geraten häufig in eine Generationsfalle. Ihre Chefs aus der alten Garde, die Management-Soziologen gern als "Happy Workaholics" bezeichnen, leben meist in einer Welt, in der die Frauen zu Hause bleiben und für die Kinder zuständig sind. Von ihren Untergebenen verlangen sie daher uneingeschränkten Einsatz. Gleiches fordern allerdings auch die Ehefrauen der Nachwuchsmanager, wenn es um die praktische Bewältigung des Familienlebens geht.
Der Schlüssel für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, das zeigen auch die Ergebnisse der manager-magazin-Umfrage, liegt in der flexiblen Gestaltung der Arbeitsabläufe und -zeiten.
Genau 69 Prozent der befragten Unternehmen ermöglichen ihren Führungskräften schon heute flexible Arbeitszeiten, weil sich die Anforderungen von Job und Familie auf diese Weise am besten verbinden lassen. Immerhin 33 Prozent der Firmen unterstützen ihre Angestellten mit betrieblicher Kinderbetreuung, 31 Prozent richten einen Heimarbeitsplatz ein.
Der Automobilkonzern BMW bietet seinen Mitarbeitern alle drei Bausteine an. Personalvorstand Ernst Baumann betont, dass die Regelungen ausdrücklich auch für die männlichen Führungskräfte gelten: "Wir fassen unsere Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf bewusst unter dem Dach der Familien-, nicht der Frauenpolitik zusammen, weil sie grundsätzlich für Männer und Frauen gelten."
Dennoch, das belegt auch die mm-Umfrage, werden Pampers-Pioniere wie Peter Schirmanski und Daniel Dietzfelbinger ihre gesellschaftliche Vorreiterrolle als Väter der neuen Art auf absehbare Zeit weiter als ausgeprägte Exoten erleben. Das Gesetz zum Elterngeld wird wohl kaum für einen gravierenden Wandel sorgen.
Die Entscheidung für ein Kind fällt eben niemand rein rational, finanzielle Aspekte spielen gerade bei Führungskräften eine eher untergeordnete Rolle. "Natürlich haben wir nun weniger Geld zur Verfügung", sagt etwa Ex-MAN-Manager Dietzfelbinger, "aber jedes Kinderlächeln ist mehr wert als eine Gehaltserhöhung."
© manager magazin,
Juni 2006